Ein Volk verkommt (oder "Sturz der Götter", 1985/86, gekürzt 1993) | *Vollständiges Original | |||||||||
Ein Volk verkommt und ist kaum noch zu retten, weil seine Führer, taub und blind, nur sehn und hörn wolln, was sie gerne hätten, ein Volk verkommt, weil seine Führer selbst Verkommne sind. Ein Volk verkommt, und eigentlich doch sollte es Beginn neuer wahrer Menschheit sein, den Schritt vom Tier zum Mensch vollenden wollte es, zu groß das Ziel, der Mensch zu klein. Man wollte menschlich sein und ignorierte prompt: "Menschlichkeit wolln", reicht nicht allein, weil sonst ein ganzes Volk verkommt. Abgeschafft, was in Jahrmillionen, Natur und Mensch vorangebracht, unter der Losung: "Tod den Drohnen !", wurde solide Triebkraft nonchalant kaputt gemacht. Groß und Klein, Alt und Jung vernahm neue Verkündigung: "Alles Elend dieser Welt kommt vom Profit, kommt von der Gier nach Geld !" Schluß mit dem Streben nach Gewinn, und die noch danach strebten, wurden unbeliebt, doch den Menschen zieht's nicht hin, wo's nichts zu gewinnen gibt. Weg mit der Angst, denn sie ist schändlich, gebangt nicht mehr um Arbeitsplatz, um Arbeitsrang, da ist es doch wohl selbstverständlich, daß man nun nichts mehr spürt vom deutschen Fleiß, vom deutschen Arbeitsdrang. Die so gesetzten Schranken, machen Verantwortung zur Qual, lähmen Ideen und Gedanken, da frag ich nach des Klugen Wahl. Und wenn's nicht tun wolln die Gescheiten, dann müssen halt die Dummen leiten. Wenn ein Direktor und ein Straßenkehrer geldlich auf der gleichen Stufe stehn, und Fensterputzer haben mehr wie Lehrer, dann ist das Chaos schon vorauszusehn. Wo Intelligenz verliert Autorität, verkommt ein Volk in Permanenz, sie ist des Menschen höchste Qualität. Den weisen Spruch, so, wie man arbeitet, so kann man essen, den hat, so traurig das auch klingt, unser Volk vergessen, weil Idee und Fleiß hier keinen Reichtum, und Dumm- und Faulheit keine Armut bringt. Und in der Kneipe wetzt es sich das Maul, über Schund und über Schlamperei, doch schon am nächsten Tage ist es selber faul und bei alledem dabei. Man wollte menschlich sein, und das Resultat: Man hält ein Volk in dieser "Menschlichkeit" allein durch Mauer und durch Stacheldraht. Ein Volk verkommt, wenn per Gesetzeskraft der Meinungsstreit als Triebkraft abgeschafft. Kritik am Staate ist verpönt, weil Götter man nicht kritisiert, der Schreiber hat sich dran gewöhnt, alle Medien sind zensiert. So langweilt eine langweilige Zeitung das Volk nun Jahr für Jahr, denn über eine festgelegte Ebene der Leitung sind unsre Leiter unantastbar. Und nur an ganz versteckten Stellen, da darf der Dichter den Tyrannen necken, und es entzückt die "Intellektuellen", wenn sie des Hofnarrn's Neckerei entdecken. Des Volkes Führer wird erst dann gerügt, wenn er die Macht verlor, das heißt, wenn er im Sarge liegt, sonst kommt das hier nicht vor. Gewählt wird unsre Führung stetig mit 99,9 Prozent, ich halt's für geistige Verirrung, wenn man das frei und demokratisch nennt. Wenn's Volk sich selbst wählt, dann einstimmig, hör' ich als Gegenargument, warum dann Wahl, so frag ich sinnig, wenn man schon vorher ihren Ausgang kennt. Politisch wird man hierzulande immer dümmer, auch die, die aus dem Volk studiert, hier ist die Einfalt fast noch schlimmer, die lange Schulung hat auch lang manipuliert. Am 1. Mai marschiert die Marionette mit vorgedrucktem Transparent vorbei an jenen in der Führerkette, die es im stillen dann unfähig nennt. Das Blauhemd statt der Westklamotten trägt die Jugend, wenns der Staat diktiert, sie rufen "Hoch", anstatt wie sonst zu spotten, so wird Begeisterung organisiert. Sie schimpfen auf die schönfärbende Presse, die demagogisch jede Schweinerei verdeckt, doch schon beim kleinsten Risiko, da halten sie die Fresse, ein Volk verkommt, und niemand da, der es aus seinem Schlafe weckt. Bin selbst vom Volk und bin nicht besser, es fehlt der Mut zu aufmüpfigem Schritt, bin selbst bequem und ein zu guter Esser und paß mich an und mach bei vielem mit. Und wurden Brüdervölker wach, durch mut'ge Männer aufgeweckt, so regte sich das Volk nur schwach, als mit Gewalt sie wieder hingestreckt. Und die geschickte Propaganda schläferte es wieder ein, polnischer Herbst und Prager Frühling mußten klassenfeindlich sein. Schlechte Kommunisten saßen außerdem dort an der Macht, die die Diktatur vergaßen, die ein Volk nur glücklich macht. Daß, trotz des Schwures, den wir taten, 45 war's im Mai, wieder marschierten deutsche Soldaten in die Tschecheslowakei, war flink erklärt dem Land: "Man habe auf der Brüder Hilferuf gehört." doch wer da rief, das ist bis heute nicht bekannt. Doch unvergessen, unser Volk, es ist gebrannt, es hat als erstes aufbegehrt, und wurde von den Führern kurzerhand, zum eignen Klassenfeind erklärt, 53 in den Juniwochen, da wollt es Schranken brechen und wurde selbst gebrochen, wie später dann die Ungarn, Polen, Tschechen. Ich verzeih' dem Volke, daß es die Fahne nach dem Winde dreht, es lebt der Mensch nur einmal und darum, ist nun der Mitläufer, der halbwegs frei und gut die Zeiten übersteht, oder der eingesperrte Kämpfer dumm. Wer war der Schlaue, etwa der Kommunist, den man erschlug in Buchenwald, oder der kleine Nazi, der noch heut am Leben ist, die Schuld verjährt Gewissen wird nicht alt. Und dennoch braucht das Volk den Held, doch jeder fragt, warum soll grade ich, riskiern den Kopf und Kragen für 'ne Welt, die hinterher noch lächelt über mich. So hat er recht, und er ist klug, doch hat der Mensch außer Verstand Gefühl, und mittelmäßig sein, ist manchem nicht genug, vielleicht riskiert er deshalb viel. So gab's einige zu jeder Zeit, sie sagten, was sie dachten, öffentlich und frei, sie ignorierten die Staatssicherheit und verbrannten ihren Mund dabei. Der eine weniger, der andre mehr, je nachdem, ob's Flüstern war oder Gebrüll, von ihnen sind jetzt drüben mehr als hier, und die noch hier sind, sind jetzt still, wer schreit schon lang gegen den Wind, ein Volk verkommt, weil seine fähigsten Köpfe, entweder mundtod oder ausgebürgert sind, auch ich hab Angst vor dem, was ich hier schöpfe. Der Menschenhandel blüht schon Jahre, hartes Geld gegen unbequemen Dissident', vielleicht bin ich bald selbst die Handelsware, wenn man meine Klassenfeindlichkeit erkennt, doch hüte ich mich vor Kritik, denn gegen Bautzen ist "Verkauft zu werden" Glück. Und immer noch, da wird geschossen, auf den, der "Republikflucht" wagt, auf Befehl von den Genossen, die damals selbst gehetzt, gejagt. Den ersten Führern verzeihe ich Unwissen, wie leicht verfällt man neuen Theorien, wenn man im Alten hat unmenschlich leiden müssen, jawohl den ersten sei's verziehn. Sie glaubten an die Diktatur der Massen, die es in Wirklichkeit nie geben kann, sie haben sich so selbst verführen lassen, bevor sie's mit dem Volk getan. Sie haben sich so selbst beraubt der Triebkraft, die die Freiheit mit sich bringt, jetzt ist verkrampft die Hand, verkalkt das Haupt, ein Auge blind, ein Bein, das hinkt. Jetzt ist die Diktatur der Masse, die Diktatur der Spitze der Partei, die bestimmt als auserwählte Rasse, was für das dumme Volk das Beste sei. "Das Volk, es ist politisch unqualifiziert, ihm bringt Freiheit nur Gefahr", mit dieser These wurde Freiheit liquidiert, die vordem mit Blut und Tod so schwer errungen worden war. Das Volk gewöhnte sich an diese Argumente, man nimmt es hin, nur wenige, die grollten, ein Volk verkommt, das man erhoben wähnte, gestürzt von denen, die es heben wollten. Der heut'gen Führung, der vergebe ich ihr Unvermögen nicht so leicht, sieht sie nicht, was ich täglich lebe, hier wird das Gegenteil erreicht von dem, für das er starb, von dem, für das er stritt, der Kommunist, der Kommunard, der Danton und der Demokrit. Nehmt's endlich wahr, die Götter irrten, die Ihr da tragen laßt zum 1. Mai, ein Volk verkommt von Jahr zu Jahr, und Marx und Lenin sind dabei. Wir tun so als gelte jeder Satz von ihm noch heut, Marx selbst, glaub ich, er schelte uns unserer Gottgläubigkeit. Den Menschen hat er ignoriert, wurde so selbst zum Idealist, wie unser Philosoph, der ihn nur interpretiert, weil er zu dumm zum Zweifeln ist. Selbst wenn es irgendwann so wär, wie es verheißt die Theorie, ich glaub, 's wär hier schön nicht mehr und langweilig wie nie. Denn Neid wirkt doch belebend, die Lust nach Macht schafft Kraft, und Eigennutz wirkt strebend, so hat der Mensch den Weg hierher geschafft. Verdammt nicht Eigenheit, die schlecht nur auf dem ersten Blick, ohne Eigennutz und Neid wären wir Affen noch, Millionen Jahre weit zurück. Marx sah Neues nicht in bürgerlicher Demokratie, das mit ihr aus dem Alten bricht, hier versagte kläglich das Genie. Sie hat die Blüte noch lange nicht erreicht, ein Volk, es wächst in ihr, wenn es sie nutzt, man hat gelernt, durch Radikalität verspielt man sie sehr leicht, drum wählt man nicht mehr den, der sie beschmutzt. Daß wir zurück zu alten Werten müssen, daran besteht für mich kein Zweifel mehr, doch wie, wer kann's genau schon wissen, ich weiß es auch nur ungefähr. Ich glaube, daß das Neue sehr große Ähnlichkeit mit westlichen Systemen hat, doch da wir starke Freunde haben und auch treue, so ist vorausgesetzt, das Neue findet zuerst bei den Russen statt. Solange muß man hier noch warten, alles andere ist Utopie, nur ein neuer Mann in Moskau kann das Neue starten, was weiß ich wann, was weiß ich wie. (von Gorbatschowscher Perestroika war da noch nichts zu erahnen) Damit beginnt dann, und ich hoffe nicht zu spät, die Annäherung der jetzt noch feindlichen Systeme, die für Rüstungsstop als Vorbedingung steht und Mittel schafft zur Lösung dringender Probleme wie Umweltschutz und dritte Welt, wir sind am Zug, der uns doch letztlich vorbestimmt der Hoffnung bringt, daß unsre Erde hält, der den aggressiven Kräften in der Welt die Existenzgrundlage nimmt. Bestimmt ist mancher irritiert, weil Altes soll als Vorbild stehn, das soviel Elend produziert, das sei nicht sein Wunschsystem. Täglicher Rauschgifttod und Mord sind im Westen fast normal, man meine, es sei dort der moralische Zerfall, auch in anderen Bereichen, sucht Gewalt und Kriminalität vergeblich bei uns ihresgleichen, ein Volk verkommt, meint man, wo so was auf der Tagesordnung steht. Doch wer so denkt, er ist auf einem Auge blind, denn fest steht auch: Je größer die Freiheiten des Menschen sind, umso größer der Mißbrauch. Die Freiheit fordert ihren Preis, ihn will ein Volk anscheinend zahlen, ich nehme dafür als Beweis das Resultat bisheriger Wahlen. Uns're Alternative, man lehnt ihn ab, den Staat, umzäunt und überwacht, denn man minimiert doch auch das Positive, wenn man das Negative durch Verbot der Freiheit kleiner macht. Freiheit ist immer Risiko, und wenn ein Volk sie nicht riskiert, verkommt es, wie das Tier im Zoo und degeneriert. Wenn ein Volk verkommt, dann dauert's seine Zeit, wir überstehn's noch gut, doch meine Kindeskinder tun mir leid, wenn sich nicht bald was tut. ENDE | ||||||||||